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Gülpinar Günes

Gülpinar Günes

Das Moor Schwantenau: Ein Ökosystem im Wandel der Gesellschaft

Moore sind Feuchtgebiete mit spezieller Flora und Fauna, CO2-Speicher und wichtig für den Wasserhaushalt auf der Erdoberfläche. In den vergangenen zweihundert Jahren aber wurden sie für die Landgewinnung und den Torfabbau zerstört. Heute gewinnen sie wieder an Bedeutung, besonders im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Wie das Ökosystem funktioniert und warum Moore heute geschützt sind, erklärt Biologin Angéline Bedolla bei einem Rundgang im Moor Schwantenau bei Einsiedeln.


Text & Fotos: Gülpinar Günes



Auf einer Ebene nördlich von Einsiedeln erstreckt sich das Moor Schwantenau: eine leicht hügelige Graslandschaft, golden schimmernd im Sonnenlicht, mit harten Grenzen zu saftig grünen Feldern, die den Moorkomplex umgeben. Ein Schotterweg führt von einer Erhöhung in die ruhige Landschaft, wo ausser Bäumen und einigen Holzhütten nichts anderes steht. Die Fläche gehört allein den Hoch und Flachmooren, die sich ausbreiten dürfen – wieder. Denn während des Zweiten Weltkrieges sah es hier ganz

anders aus, der Boden aufgeschürft mit tiefen Gräben und Kanten in der dunklen Torferde.


So erging es den meisten Mooren in der Schweiz zu jener Zeit. Sie haben eine lange Geschichte von der Trockenlegung bis hin zur Renaturierung hinter sich und gelten heute als wertvoller denn je. Angéline Bedolla befasst sich beruflich mit Mooren. Sie ist seit 20 Jahren Biologin und Botanikerin bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf und überwacht Veränderungen in den Biotopen von nationaler Bedeutung, also den Hoch- und Flachmooren, Auen und Trockenwiesen. Das Moor Schwantenau zählt heute zu den fünf grössten in der Schweiz.


Über Jahrtausende haben sich hier nach dem Abzug des Linthgletschers Flachmoore und später Hochmoore entwickelt, wie Bedolla erzählt. Heute bedeckt das Moor noch 110 Hektaren Land, rund ein Zehntel davon ist Hochmoor. Noch im letzten Jahrhundert war das Hochmoorgebiet mehr als fünfmal so gross wie heute. Um zu verstehen, warum die Moorgebiete geschrumpft sind, muss man verstehen, was überhaupt ein Moor ist.


Angéline Bedolla führt entlang des Schotterwegs vorbei an der scharfen Grenze zwischen Moor und Feld, von Grün zu Bräunlich. «Hier sind wir im Flachmoor», sagt sie und zeigt auf die Vegetation. Am Rand des Flachmoores ist diese noch üppig und es

gedeihen neben Pfefferminzstauden auch kleine Birken und Weidensträucher. Hier ist der Boden noch nicht so nass und viel nährstoffreicher als im Hochmoor. Mit jedem Schritt tiefer ins Flachmoor wachsen aber bereits Pflanzen, die sich auf feuchte, nährstoffärmere Böden spezialisiert haben. In den Pfeifengraswiesen wachsen noch Süssgräser. Je weiter man aber in Richtung Moorzentrum vorstösst, desto niedriger wird die Vegetation. Mehr und mehr ersetzen Sauergräser die Süssgräser, Seggen und Binsen dominieren die Vegetation. «Die meisten Sauergräser erkennt man an ihrem dreieckigen

Halm», sagt Bedolla.



Sauergräser wachsen nicht, wie der Name vermuten lässt, nur auf saurem Boden, aber die meisten mögen es feucht und fühlen sich in den wassergesättigten Böden von Flach- und Hochmooren wohl. Eine dicke Lehm- und Tonschicht, die der Gletscher nach seinem Rückzug hinterlassen hat, verhindert dort nämlich, dass das Wasser absickern kann. So staut sich das Niederschlagswasser, läuft nur langsam ab und verteilt sich auf der ganzen Fläche. Je nässer der Boden ist, desto weniger Sauerstoff kommt dazu und das tote Pflanzenmaterial wird kaum mehr abgebaut. Das heisst, es wird weniger Humus produziert und es entsteht Torf: dicht gepresstes, kaum zersetztes organisches

Material.


Moore und ihre Entstehung


Damit allerdings aus einem feuchten Flachmoor ein Hochmoor entsteht, muss die Vegetation und das Torf sich vom mineralischen Grundwasser lösen, sodass das Hochmoor nur noch auf Regenwasser angewiesen ist. Bedolla führt tiefer in das Moor, das wegen der Hitzeperioden nun Mitte August relativ ausgetrocknet ist. Sie greift in die Pflanzen vor ihren Füssen und hält erfreut ein trockenes Büschel in der Hand. «Das ist das Magellans Torfmoos, eine der typischen Hochmoorarten», sagt sie. «Jetzt sind wir im Hochmoor angelangt.»


Die Vegetationshöhe ist hier niedriger als im Flachmoor, der Boden etwas weicher. Torfmoose sind die Hauptproduzenten von Torf und initiieren den Torfbildungsprozess,

wie Bedolla weiter erklärt. Während ihre Basis im Wasser steht und langsam abstirbt, wachsen sie kontinuierlich in die Höhe. Gleichzeitig scheiden sie mit ihrem Stoffwechsel Säure in den Boden aus, sodass dieser etwa gleich lebensfeindlich wird wie Essig. So

gewinnen sie einen Vorteil gegenüber anderen Pflanzen, die ihr Wachstum hemmen könnten. Während die Torfmoose weiterwachsen, häufen sich die abgestorbenen, kaum abgebauten Pflanzenteile im sauerstofffreien, wassergesättigten Boden zu Torf. Das Hochmoor und die Torfschicht wachsen so etwa einen Millimeter pro Jahr in die Höhe. «Es gibt Moore auf der Welt, die auf einer 20 Meter hohen Torfschicht liegen», erwähnt Bedolla. Diese sind also etwa 20 000 Jahre alt.


Hochmoore befinden sich mit diesem Zyklus in einem Gleichgewicht und können selbstregulierend weiter wachsen. Sie brauchen einzig Regenwasser, um den Prozess fortzuführen. Und auch wenn dieses über eine längere Periode fehlt, können Torfmoose vom gespeicherten Wasser zehren: Sie können das Dreissigfache ihres Gewichtes an Wasser aufnehmen und kürzere Trockenperioden überstehen, wie Bedolla demonstriert. Die ausgetrockneten Moospflanzen, die sie in ihrer Hand hält, sind noch immer feucht. Dann leert sie Wasser auf das gelbliche Büschel und es quillt sofort auf wie ein Schwamm. Erst wenn sie es zusammenpresst, strömt das Wasser wieder aus dem Moos.



Flachmoore allerdings müssen im Gegensatz zu Hochmooren gepflegt werden, damit die Gehölze nicht überhandnehmen und das Flachmoor schliesslich verschwindet. Das übernehmen die Bauern, denen das Land gehört. Das ist in einer Leistungsvereinbarung mit dem jeweiligen Kanton geregelt und wird vergütet, wie die Wissenschaftlerin weiter ausführt. Die Bauern mähen das Pfeifengras einmal pro Jahr im Herbst. Früher wurde das Schnittgut zum Trocknen zu Tristen aufgeschichtet: rund drei bis vier Meter hohe Stroh- Pyramiden. Dieses Stroh verwendeten sie dann für das Vieh. Heute sieht man solche Tristen nur noch selten. Als Geschichtszeugen stehen jedoch einige noch einsam in den Weiten des Moores Schwantenau.


Torf als alternativer Brennstoff


Unterwegs im Moor Schwantenau begegnet man laufend weiteren Relikten aus einer ganz anderen, weniger idyllischen Zeit als heute. Meterhohe Torfstichkanten ragen aus einer sonst flachen Landschaft empor und kleine Holzhütten stehen versteckt hinter Birkenwäldern und wirken verlassen: Während des 19. und 20. Jahrhunderts wurde hier Torf in grossem Mass abgebaut, insbesondere während des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Damals bereitete der Schweiz die weltweite Brennstoffknappheit Sorgen und Torf war eine grossflächig vorhandene alternative Ressource zu Brennholz oder Öl.

Mit Spaten und später auch mit industriellen Maschinen wälzten Torfstecher den Boden um und trockneten die Torfblöcke an der Erdoberfläche. Auch Kinder und Frauen wurden zeitweise in die Arbeit eingespannt.


«Hier wurde bis zu vier Meter Torf abgebaut», sagt Angéline Bedolla und blickt auf die Kanten in der Landschaft, wo Torf gewonnen wurde – Torfstichkanten heissen sie. Innerhalb weniger Jahre wurde organisches Material, das über mehrere Tausend Jahre gewachsen war, abgetragen. Und das geschah nicht nur im Moor Schwantenau: In fast allen Hochmooren im Jura, in den Voralpen und im Mittelland wurde Torf abgebaut. Exemplarisch dafür ist die Region rund um Wauwil im Luzerner Mittelland, das man auf der Zugstrecke von Olten nach Luzern sehen kann. Zudem wurden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Grossteil der Feuchtgebiete in der Schweiz mit Drainage-Gräben trockengelegt, um die Fläche für die Landwirtschaft nutzbar zu machen. Ein wichtiges Beispiel dafür ist das Seeland zwischen Solothurn und Neuenburg, auch «das Grosse Moos» genannt.


So verschwanden nach und nach die ökologisch wertvollen Feuchtgebiete in der Schweiz. «Heute bestehen noch weniger als zehn Prozent der ursprünglichen

Hochmoorflächen», sagt Bedolla. Gänzlich unberührte Hochmoore gibt es ohnehin kaum noch und lange Zeit machte sich niemand Gedanken über diese Gebiete. Erste Bestrebungen, die Moore zu erfassen, machten Wissenschaftler der ETH Zürich am Ende des 19. Jahrhunderts. Erst als das Nachbarmoor der Schwantenau, das grosse Moor bei Rothenthurm, in den 1970er-Jahren für das Militär interessant wurde, bewegte sich etwas Entscheidendes.


Vom Torfabbau zum Klimaschutz



Versteckt hinter einem kleinen Fichtenwald schimmert eine Wasserfläche silbrig im Sonnenlicht – eine unbewachsene Wasserstelle mitten im Hochmoor mit absterbenden Fichten mittendrin. Die Vegetation rundherum ist teilweise hoch und flacht dann wieder ab. «Das ist ein neu angelegter Teich, der vielen Libellen und Fröschen einen Lebensraum bietet», erklärt Bedolla. «Dieses Gebiet wurde renaturiert und der Wasserspiegel wieder näher an die Oberfläche gebracht – das Hochmoor regeneriert sich langsam wieder.» Sie zeigt auf einen Einschnitt im Boden, der offenbar wieder zugeschüttet wurde: ein ehemaliger Drainage-Graben, der im Rahmen der Renaturierung des Moores 2020 geschlossen wurde.


Seitdem das Schweizer Stimmvolk die Rothenthurm-Initiative im Jahr 1987 angenommen hat, stehen Moor-Biotope schweizweit unter Schutz. Damals wollte das Militär das Moor bei Rothenthurm – eines der grössten Moorkomplexe in der Schweiz – trockenlegen, um einen Waffenplatz darauf zu errichten. Dagegen ergriff ein Initiativkomitee das Referendum und hatte Erfolg. Im Rahmen der Diskussion rund um den Waffenplatz erstellten Wissenschaftler in den 1980er-Jahren ausserdem ein Inventar aller Schweizer Hochmoore und evaluierten deren ökologischen Wert. So entstand das Inventar der Hoch- und Übergangsmoore von nationaler Bedeutung.


Heute sind die Erkenntnisse von damals nicht mehr abzustreiten. Die einzigartigen Feuchtgebiete bieten Lebensraum für diverse bedrohte Tierarten und Pflanzen, die sich auf das karge Milieu und die Feuchtigkeit spezialisiert haben und nur in Mooren vorkommen. So gäbe es ohne Hochmoore den gefährdeten Hochmoor-Perlmutterfalter nicht – einen Schmetterling, der seine Eier ausschliesslich auf der Moosbeere ablegt. Das sind ebenfalls Pflanzen, die nur in wassergesättigten Hochmooren vorkommen. Weltweit leben und brüten rund 40 Prozent aller Tierarten in Feuchtgebieten. Zudem liefern Moore Süsswasser, regulieren den Wasserhaushalt auf der Erdoberfläche und

wirken bei starken Niederschlägen dämmend.


Ihre wichtigste Funktion entfalten die Ökosysteme aber im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung als Kohlenstoffspeicher. Sie bedecken zwar nur rund drei Prozent der weltweiten Landflächen, speichern aber etwa doppelt so viel Kohlenstoff wie die gesamte Biomasse aller Wälder auf der Erde – also mehr als jedes andere Ökosystem. Das entspricht rund einem Fünftel des gesamten Kohlenstoffs auf der Welt. Aber das funktioniert nur, solange sie intakt sind. Wird der Torfboden verletzt, umgegraben und entwässert, degradiert der Torf und das gespeicherte organische Material oxidiert, weil es mit Sauerstoff in Berührung kommt. So gelangt ein Mehrfaches an Treibhausgasen und CO2 in die Atmosphäre. Europa gehört mitunter zu den Kontinenten, mit den meisten zerstörten Moor-Ökosystemen. Kehrt man den Prozess allerdings um und renaturiert die Gebiete, binden wassergesättigte Moore wieder mehr Kohlenstoff und CO2 aus der Umgebung.


Dank dem Moorschutz hat jeder Kanton den Auftrag, seine Moore von nationaler Bedeutung zu schützen und zu renaturieren, soweit das möglich ist. Das Ziel ist es dabei jeweils, den Wasserspiegel wieder auf rund zehn Zentimeter unterhalb der Mooroberfläche zu erhöhen. Dazu werden die ehemaligen Drainage-Gräben geschlossen und das Wasser bleibt wieder im Moor, sodass sich Torfmoose wieder ausbreiten können. Erste Erfolge sieht man schon ein paar Jahre danach, wenn die Rottannen und andere Bäume absterben, weil es ihnen zu nass wird. Es brauche aber Zeit, bis sich wieder eine richtige Torfschicht bildet, wie Angéline Bedolla erzählt.


«Ohne den Moorschutz hätten wir heute die meisten dieser wertvollen Ökosysteme verloren», sagt sie und blickt über die Landschaft. Mittlerweile gehe es den Schweizer Mooren besser als noch vor 50 Jahren. «Aber es gibt noch viel zu tun, bis alle Moore der Schweiz ihre Funktionalität wieder erlangt haben.»

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