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Gülpinar Günes

Multimedia Journalistin

  • Gülpinar Günes

Wenn ein Handwerk zur Berufung wird: Johanna Vogelsang gibt alten Gebäuden ihren Glanz wieder zurück


Gülpinar Günes (Text / Bilder / Video)


Es stinkt nach Chemie. Auf einem kleinen Gerüst stehen zwei Frauen mit Atemschutzmasken und putzen eine graue Farbschicht von der Wand ab. Hervor kommt ein kräftiges Orange-Rot, das dem ganzen Raum eine warme Atmosphäre verleiht. An der Wand daneben retuschiert eine dritte Frau die Farblücken, die beim Abtragen entstanden sind. Mit einem feinen Pinsel und mit viel Geduld füllt sie die Stellen mit einem rostroten Farbgemisch aus Leinöl, Lösemittel und Farbpigmenten, das sie selber zusammengemischt hat. «Das ist der einzige Raum, der noch die historische Farbigkeit hat», weiss Johanna Vogelsang.


Die 40-jährige Dekorationsmalerin und Handwerkerin in der Denkmalpflege arbeitet derzeit an der Bananencentrale in Zürich. Das denkmalgeschützte Gebäude wurde in den 30er-Jahren erbaut und trug dazu bei, die Banane als Powerfrucht in der Schweiz zu verbreiten. Nach den Restaurationsarbeiten soll die Bananencentrale als Schule für angehende Malerinnen und Maler dienen. Dafür soll sie aber ihre ursprüngliche Farbigkeit wieder erhalten, dort, wo sie noch erhalten ist.

Johanna Vogelsang retuschiert die roten Wände des Eingangs der Bananencentrale in Zürich sowie die Tapete im obersten Stockwerk, die sie freilegen konnte.


Das Handwerk gefiel ihr bereits als Jugendliche


Die Retuschierarbeiten aber sind keine grosse Herausforderung für die Handwerkerin, die bereits seit 20 Jahren auf dem Beruf arbeitet. Sie erinnert sich an ihre Anfangszeit zurück bei einem Rapperswiler Unternehmen, das sich auf historische Malereien konzentriert. «Es war eine harte Lehrzeit», sagt Vogelsang. Die Arbeitstage seien lang und anstrengend gewesen. Aber das damals jugendliche Mädchen hätte es nicht anders gewollt. Sie sagt:


«Mir hat die körperliche Arbeit wahnsinnig gefallen – man musste richtig anpacken.»

Besonders das figürliche Malen habe es ihr angetan, das heisst, Figuren, Ornamente und Blumen zeichnen. Darin liegen auch heute noch ihre Stärken, die sie seit zehn Jahren als selbstständige Handwerkerin gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin Sara Ambühl ihren Kunden anbietet. Ihr Wissen hat Vogelsang vor sechs Jahren mit einer zweijährigen Weiterbildung zur Handwerkerin in der Denkmalpflege vertieft, wo sie Grundlagen im Umgang mit und der Arbeit an denkmalgeschützten Gebäude erlernt hat.


Johann Vogelsang wusste früh, dass sie an historischen Gebäuden arbeiten will – heute ist sie überzeugt, das richtige Handwerk ausgesucht zu haben. Wir begleiten sie auf die Baustelle in der Bananencentrale in Zürich und in ihr Atelier, um zu erfahren, warum das so ist:


Ein abwechslungsreiches Handwerk


Das Handwerk aber ist viel mehr als nur Malen und retuschieren. Im Vorfeld muss die Handwerkerin viele Abklärungen mit der Denkmalpflege machen, wie sie vorgehen soll, welche Materialien sie verwenden darf. Es komme auch vor, dass sie selber geschichtliche Recherchen zum Gebäude machen muss. Aber sie sei keine wissenschaftliche Restauratorin, sondern Restauratorin im Handwerk, die vielmehr ausführt. «Am meisten gefällt mir, dass die Arbeit immer wieder unterschiedlich ist», sagt Vogelsang und hängt an:


«Wenn man den ganzen Tag das gleiche Blümchen malt, dann verleidet das auch mit der Zeit.»

Zu ihren aktuellen Projekten gehören nebst der Bananencentrale viele weitere. Im Kanton Glarus etwa kümmert sich ihre Geschäftspartnerin um ein Projekt mit zwei grossen Villen. Dort erwarten sie Vergoldungsarbeiten und Streichen mit Ölfarbe. Aber auch im universitären Umfeld gibt es einige Projekte: An der Universität Zürich etwa können sie eine alte Tapete retuschieren und sichern. Und für die ETH dürfen sie alte Kandelaber bronzieren, wie Vogelsang das im Video bereits erklärt hat. Beim Bronzieren handelt es sich um eine Imitationstechnik, bei der mit verschiedenen Öl- und Farbschichten oxidiertes Bronze nachempfunden wird.


Johanna Vogelsang arbeitet in ihrem Atelier in Baden an ersten Versuchen, oxidiertes Bronze zu imitieren. Dazu nimmt sie eine Mischung aus verschiedenen Ölen und Farbpigmenten und verteilt das Gemisch mit dem Pinsel auf den Untergrund.


Handwerk braucht einen höheren Stellenwert


Abwechslung erhält die Handwerkerin nicht nur in ihren unterschiedlichen Projekten, sondern auch als Dozentin. Zwei Jahre nach dem Abschluss ihrer Ausbildung zur Handwerkerin in der Denkmalpflege beginnt Vogelsang im Modul Malerei in ihrem ehemaligen Lehrgang zu unterrichten. Dort kann sie ihre Freude am Handwerk an Interessierte weitergeben. «Ich mache das aber nicht bewusst», sagt sie. Das passiere einfach. «Man kann gar nicht anders, als Freude an diesem Handwerk haben», ergänzt sie lachend.


Allerdings gebe es nicht mehr viele junge Leute, die dieses Handwerk mit Begeisterung ausüben. «Das Handwerk wird allgemein nicht mehr allzu sehr geschätzt», sagt sie. Ihrer Erfahrung nach würden viele Menschen ein Handwerk erlenen, weil ihnen keine andere Wahl bleibt. Sie sagt:

«Um richtig stolz auf sein Handwerk sein zu können, braucht dieses einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft.»

Aber diejenigen, die einem Handwerk in der Denkmalpflege nachgehen, seien mit viel Leidenschaft dabei. «Das ist auch sehr schön zu sehen.» Oft seien es Menschen, die bereits länger im Beruf sind und ihr Wissen vertiefen wollen.


Auch Johanna Vogelsang ist noch lange nicht dort, wo sie sein möchte. «Ich bin froh, dass ich erst 40 Jahre alt bin und noch viel lernen kann», sagt sie schmunzelnd. «Ich glaube, dass ich noch nicht so viel weiss.» Sie hat in ihrem Handwerk eine Berufung gefunden und lebt für ihre Arbeit.


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