- Gülpinar Günes
Aus den Augen aus dem Sinn? Warum Binden und Feuchttücher nichts im WC zu suchen haben

André Fürst (rechts) mit ARA Aaregäu-Präsident Thomas Blum bei den aussortierten Abfällen. Bilder: Bruno Kissling
Es rauscht. Kaltes Wasser fliesst durch einen Kanal. So frisch wie die eisige Winterluft könnte man meinen. Doch das Wasser ist trüb, gräulich, verdeckt mit einem Gitter. Es stinkt wie in verwahrlosten Raststettenklos, die man nur aufsucht, wenn man unbedingt muss. Im Becken, wo das graue Wasser hinfliesst, schwimmt eine weiss-blaue Plastikverpackung auf. Ein unverkennbares Design. Offenbar aber hält die Marke ihr versprechen: Die Binde daneben ist vollgesogen mit dem Abwasser der Wolfwiler und Fulenbacher. Ultra saugfähig.
«Wir nennen sie Surfbretter», sagt André Fürst beiläufig aber nicht ohne zu schmunzeln. Für den stellvertretenden Klärmeister des Abwasserverbands Aaregäu sind solche Utensilien im Abwasser nichts Neues. In einem Rundgang zeigt er, welche Probleme sie verursachen können.

Die Kläranlage gehört zum Abwasserverband ARA Aaregäu und ist für das Abwasser der beiden Gemeinden Fulenbach und Wolfwil zuständig.
Jedes Jahr fischt die Kläranlage in Fulenbach bis zu 38 Tonnen Abfall aus dem Abwasser: Feuchttücher, Binden, Tampons, Kondome, Schutzmasken. «Was mich wirklich erstaunt, sind Dinge wie Socken, Windeln oder Frotteetücher im Abwasser», sagt Fürst offensichtlich verblüfft darüber, wie diese Gegenstände überhaupt durch die Öffnung der WC-Schüssel gepasst haben.
In einem aktuellen Rundschreiben bittet der Zweckverband die Einwohner der beiden Gemeinden Wolfwil und Fulenbach, solche Gegenstände nicht im Abwasser zu entsorgen. Denn: Was nach dem Prinzip «aus den Augen, aus dem Sinn» vom WC verschlungen wird, taucht hier wieder auf und wird zum Problem des Klärmeisters. Anders als Klopapier lösen sie sich nämlich nicht im Wasser auf.
Wöchentlich etwa 800 Liter Feuchttüchlein und Binden
Er führt in den Raum neben dem Auffangbecken und öffnet den Deckel eines metallenen Kastens:

Beissender Gestank strömt raus, weit schlimmer als draussen, wo der Geruch vom Wind weggetragen wird. Hier werden die Abfälle von den Fäkalien getrennt. Ein grosser spiralförmiger Rechen fördert grobe Partikel wie Binden oder Feuchttücher in eine Pumpe. Diese presst Fäkalienreste aus ihnen heraus. Dahinter spuckt ein Trichter die verbliebenen Fetzen aus – formlose, feuchte, stinkende graue Massen. Der Abfallcontainer darunter ist schon fast voll und hier und da sind orangene Farbtupfer zu erkennen:

Fürst enttarnt sie als Rüben, die als Essensreste beim Waschbecken oder beim WC hinuntergespült wurden. «Mittags kann man manchmal ganze Menüs zusammenstellen», sagt er lachend. Einen vollen Container trage er wöchentlich raus, etwa 800 Liter Abfall, der nicht ins Abwasser sollte.
An jenem Morgen läuft alles wie geschmiert. Wegen der vielen Abfälle hat der Zweckverband vor einigen Jahren umgerüstet und zusätzliches Schneidewerk bei den Pumpen eingebaut hat, das die Papierfetzen zerkleinert. Hin und wieder komme es vor, dass die Abfallmenge die Pumpen lahmlegt. Besonders bei starkem Regen oder derzeit auch wegen grosser Mengen Schmelzwasser ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch. Dann muss der Klärmeister oft von Hand dahinter und die Pumpe säubern – egal ob Tag oder Nacht.
«Die Anlage muss 365 Tage funktionierten», sagt Fürst. Jedenfalls solange niemand in einer Aare schwimmen will, wie sie wohl im Mittelalter noch durch die Gegend floss. «Aber es ist schlimmer geworden in den letzten Jahren.» Fürst meint die Abfallmenge. Den Leuten sei es nicht bewusst, dass gewisse Stoffe nicht ins Abwasser gehören. So auch Öle.
Auch Öle und Fette können nicht verwertet werden
Im nächsten grossen «Biologiebecken» draussen sprudelt eine undurchsichtige, dicke, braune Sauce. Auf deren Oberfläche treiben unzählige klumpige Bläschen, die sich mit den Wellen hin und her bewegen:

Hier werden die Bakterien im Abwasser mit Sauerstoff ernährt und bauen Stick- und Kohlenstoff ab. Es entsteht Klärschlamm. Mit Fetten und Ölen aber können die Einzeller nicht viel anfangen. So treiben die Stoffe in Form von Bläschen an der Oberfläche. Hier sind sie zwar unschädlich, verschmutzen aber in den vorherigen Prozessen die Pumpen und Kanäle. Fürst hebt das Gitter über einem schmalen Zulaufkanal und zeigt auf die Ränder:

Wie hartnäckiger Kalk klebt dort das Fett, das bei den gegenwärtigen Temperaturen zu einer grauen Masse festgefroren ist. Wöchentlich muss der Klärmeister die Anlage abspritzen und reinigen. Was dennoch ins System kommt, schwimmt im sogenannten Nachklärbecken am Ende der Anlage oben auf:

Diesen abzuschöpfen sei sehr aufwendig aber notwendig: Denn dort fliesst das gesäuberte Klärwasser wieder in die Aare, so klar wie Trinkwasser. Aber nicht ganz so frisch. «Wenn man die Leute im Umkreis fragt, ob sie solche Dinge ins Abwasser werfen, dann verneinen alle», sagt Fürst frustriert. «Irgendwer macht es aber.» Er frage sich manchmal schon, wie Leute auf die Idee kommen, alles runterzuspülen. «Gewässerschutz ist wichtiger denn je», sagt er und hofft auf eine sensibilisierende Wirkung des Rundschreibens.